PlatonAristotelesEpikurSpinozaLockeKantHegelMarxAdornoMarcuseBloch

           Erinnyen 23 logoerinnyenaktuell     

Erinnyen AktuellPhilosophieseiteSchuledialektik InternetkurseDialektikvereinWeblog / TagebuchRedakteur privatBuchladen

 


Startseite
Aphorismen
Über den Roman
Gerechtigkeit
Menschenrechte
Rezensionen
GlossarLinks
Impressum

NewsletterAnmelgung

RSS-Feed Botton

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gerechtigkeit

 

Zum Begriff der Gerechtigkeit bei Kant

„Die Revolution eines geistreichen Volkes, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greueltaten dermaßen angefüllt sein, daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie, zum zweiten Male unternehmend glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschließen würde – diese Revolution, sage ich, findet doch in den Gemütern aller Zuschauer (die nicht selbst in diesem Spiele mit verwickelt sind) eine Teilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasmus grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden war, die also keine andere als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht zur Ursache haben kann.“ (Kant, zitiert nach „Was ist Aufklärung?“, S. 76 f.)
Will man einen rationalen Begriff von Gerechtigkeit im bürgerlichen Zeitalter aufstellen, dann muss man an der avancierten Philosophie bürgerlicher Denker anknüpfen, die noch nicht die Gefahren des Kapitalismus voll erkannt hatten, weil er noch nicht als Industriekapitalismus entwickelt war, die andererseits die bürgerliche Welt noch als rationale gegen das Feudalsystem bestimmen konnten, ohne in offen ideologische Denkformen abzugleiten, wie die meisten bürgerlichen Philosophen nach der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel (vgl. mein Buch über Wertphilosophie). Da Gerechtigkeit vor allem ein moralischer Begriff ist, beziehe ich mich deshalb auf die praktische Philosophie Kants.
Nach Kant gilt als Gerechtigkeit: „Was nach äußeren Gesetzen recht ist, heißt gerecht (iustum), was es nicht ist, ungerecht (iniustum)“. (Kant: MS (Metaphysik der Sitten. Rechtslehre), S. 330 / AB 23) Moral bezieht sich auf innere Gründe von Handlungen (Gesinnung), äußere Handlungen unterstehen dem Recht. Mit äußeren Gesetzen sind allerdings nicht die des positiven Rechts gemeint, wie es z. B. in Preußen zu Kants Zeiten vorlag, sondern das Recht, das mit dem Sittengesetz vereinbar ist, das sozusagen die rechtliche Bedingung der Möglichkeit darstellt, nach dem Sittengesetz kandeln zu können.
„‘Eine Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könnte etc.‘
   Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand, mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.“ (A. a. O., S. 337/ B 34)
Kant bestimmt wie Aristoteles den Menschen als vernunftbegabtes Lebewesen, jetzt aber auf alle Menschen bezogen, ohne Ausnahme. Daraus folgt notwendigerweise seine Freiheit.
„Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.“ (A. a., O., S. 345/ AB 45)
Aus diesem Recht der Freiheit folgt auch die „angeborene Gleichheit (…), mithin die Qualität des Menschen, sein eigener Herr (sui iuris) zu sein“ (ebda.).
Das allgemeine Gesetz, das die Freiheit der Individuen miteinander verträglich machen soll, muss auf dem Sittengesetz (moralisches Gesetz, Moralgesetz) basieren. Dieses moralische Gesetz lautet als kategorischer Imperativ: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Kant: Grundlegung zu Metaphysik der Sitten, S. 51). Die Maxime als subjektive Regel der Handlungen soll zwischen den einzelnen konkreten Handlungen und der Verallgemeinerung zum Gesetz das Vermittelnde sein. Da dieses Moralgesetz aber bloß formal ist, also der Möglichkeit nach inhaltlich widersprechende Maximen zur Verallgemeinerung bringen könnte (vgl. Hegel: Phänomenologie, S. 315 f.), muss es auch nach Kant eingeschränkt werden auf die Bestimmung des Menschen:
„Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß, in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“ (Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 f.)
Der Grund für diese Bestimmung des Menschen liegt in der Vernunft des Menschen. Denn als vernünftiger hat er die Fähigkeit, sich selbst Zwecke zu setzen. „Der Mensch ist keine Sache, mithin nicht etwas, das bloß als Mittel gebraucht werden kann“ (a. a. O., S. 61). Daraus folgt die zweite Gestalt des moralischen Gesetzes oder kategorischen Imperativs:
„Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (A., a., O., S. 61 / BA 67)
Diese Bestimmung des Menschen und der daraus abgeleitete kategorische Imperativ geht direkt in Kants Vorstellung von Gerechtigkeit ein:
   „1) Sei ein rechtlicher Mensch (honeste vivi). Die rechtliche Ehrbarkeit (honestas iuridica) bestehet darin: im Verhältnis zu anderen seinen Wert als den eines Menschen zu behaupten, welche Pflicht durch den Satz ausgedrückt wird: ‚mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck‘. Diese Pflicht wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person erklärt werden (lex iusti).
   2) Tue niemanden  Unrecht (neminem laede) und solltest du darüber auch aus aller Verbindung mit anderen heraus gehen und alle Gesellschaft meiden müssen (lex iuridica).
   3) Tritt (wenn du das letztere nicht vermeiden kannst) in eine Gesellschaft mit  andern, in welcher jedem das Seine erhalten werden kann (suum cuique tribue). (…) Tritt in einen Zustand, worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann‘ (lex iustitiae).“ (Kant: Rechtslehre, S. 344 / AB 43, 44)
Und im Nachlass findet sich der Satz: „Niemals empört etwas mehr, als Ungerechtigkeit; alle anderen Übel, die wir ausstehen, sind nichts dagegen.“ (Zitiert nach Eisler: Kant-Lexikon, S. 185)

Exkurs zur Begründung des Sittengesetzes

In neuerer Zeit wird Kants Moralphilosophie gewöhnlich mit deontologischer Moral charakterisiert. Und in dieser Bestimmung steckt bereits die Kritik, dass sie von der empirischen Wirklichkeit abgehoben sei. Man könnte scheinbar alle Argumente von Aristoteles gegen die moralischen Ideen Platon auch auf Kant anwenden. Doch das ist falsch, weil es die kantische Begründung überspringt, also bloß eine abstrakte oder bloß moralisierende Kritik wäre.
Aus der Empirie lassen sich keine moralischen Gesetze herleiten, denn was wir dort finden, ist unbestimmt, widersprüchlich und disparat, jede Auswahl wäre Willkür. Auch Erfahrung kann es bestenfalls zur komparativen Allgemeinheit bringen, nicht zur notwendigen Allgemeinheit eines Gesetzes (Kant: KrV, S. 40 / B4;  KpV, S. 118).
„daß ein Gesetz von so ausgebreiteter Bedeutung sei, daß es nicht bloß für Menschen, sondern alle vernünftige Wesen überhaupt, nicht bloß unter zufälligen Bedingungen und mit Ausnahmen, sondern schlechterdings notwendig gelten müsse: so ist klar, daß keine Erfahrung, auch nur auf die Möglichkeit solcher apodiktischen Gesetze zu schließen, Anlaß geben könne. Denn mit welchem Rechte können wir das, was vielleicht nur unter den zufälligen Bedingungen der Menschheit gültig ist, als allgemeine Vorschrift für jede vernünftige Natur, in unbeschränkter Achtung bringen, und wie sollen Gesetze der Bestimmung unseres Willens für Gesetze der Bestimmung des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt, und, nur als solche, auch für den unsrigen gehalten werden, wenn sie bloß empirisch wären, und nicht völlig a priori aus reiner, aber praktischer Vernunft ihren Ursprung nähmen?“ (Kant: GMS, S. 36 / BA 29, 30) Nur ein apodiktisches Gesetz kann Verbindlichkeit garantieren (vgl. Kant: GMS, S. 13).
An einer metaphysischen (nicht-empirischen) Bestimmung der Moral war der Rationalismus vor Kant gescheitert, weil er die moralischen Begriffe unkritisch aus der philosophischen Tradition übernommen hat. Kant geht deshalb einen anderen Weg, der als transzendental bezeichnet wird. Er kann zu seiner Zeit auf wahre Wissenschaft verweisen, das ist die Mathematik und die mathematische Naturwissenschaft Newtons (Kant: KrV, S. 52 / B 20 f.). Diese Wissenschaften sind wahr, weil sie logisch stimmig sind und – so füge ich hinzu – dem Praxiskriterium der Wahrheit genügen, nach dem eine Theorie auch sachlich wahr ist, wenn sie zur Bedingung der Möglichkeit der existierenden Gesellschaft geworden ist: Ohne Newtonsche Mechanik keine Industrialisierung und ohne diese keine moderne Industriegesellschaft (vgl. dazu Bulthaup: Befreiung, S. 170).
Diese wahren Wissenschaften haben nun metaphysische, also allein aus dem menschlichen Denken entspringende, Bestimmungen als deren konstitutive Grundlage. Sind diese Wissenschaften wahr, dann sind auch diese metaphysischen Implikationen wahr. So etwa der Begriff des Gesetzes, das apodiktische Urteil, der Kausalitätsbegriff u. a., die in die Form des Sittengesetzes eingehen.
Nun ist das Sittengesetz nach Kant ein „Faktum der Vernunft“ (Kant: KpV, S. 141 f. / A 56), es kann nicht aus vorhergehenden Prämissen abgeleitet werden. Denn diese müssten dann ihrerseits begründet werden, was zu einem regressus ad infinitum führt, der irgendwann willkürlich abgebrochen werden müsste, also keine schlüssige Begründung wäre. Das gilt für alle Prinzipien, wie es das Moralgesetz ist, denn diese sind ein Erstes. Soll solch ein Prinzip nicht willkürlich sein, so muss es dennoch begründet werden. Die Philosophie hat dafür den indirekten (apagogischen) Beweis entwickelt: Von zwei kontradiktorischen Aussagen ist immer eine wahr, z. B. „A ist“ oder „A ist nicht“. Widerlege ich eine Seite des kontradiktorischen Gegensatzes, dann muss die andere wahr sein. Kann ich zeigen, dass „A ist nicht“ nicht sein kann, dann muss „A ist“ wahr sein.
Ohne auf die schwierige Problematik von Freiheit und Sittengesetz näher einzugehen, so kann doch gesagt werden, dass ohne die Maxime, nach Wahrheit zu streben, keine wahre Wissenschaft möglich ist. Ist aber diese Maxime verallgemeinerbar für jede wahre Wissenschaft (und eine andere gibt es nicht), dann ist das Sittengesetz immer schon die notwendige Bedingung der Möglichkeit wahrer Wissenschaft, wahren Denkens und wahrer Vernunft. Eine kontradiktorische Maxime, nach unwahrer Wissenschaft zu streben, ist noch nicht einmal denkbar, denn sie würde bedeuten, widersprüchlich zu denken, also Nichts zu denken. Das Sittengesetz und was daraus folgt, ist deshalb ein notwendiges Faktum der Vernunft.

(Ende des Exkurses)

Ist das Sittengesetz schlüssig begründet, dann muss das kantische Verständnis von Moral auch zum Maßstab vernünftigen Rechts werden und Gerechtigkeit begründen. Denn wenn die menschliche Freiheit der Willkür sich am Sittengesetz orientiert und in konkrete Handlungen eingeht, dann muss die Bedingung der Möglichkeit des moralischen Handelns gegeben sein. Sonst gälte der Satz: Ein Wille, der nichts will, ist kein Wille. Bedingung der Möglichkeit vernünftigen Handelns und damit der Gerechtigkeit ist eine vernünftig eingerichtete Gesellschaft. Eine solche muss zuerst in einem rechtlichen Zustand sein, der allererst vernünftiges Handeln ermöglicht (wie bereits Hobbes gefordert hat). (Vgl. dazu Deggau: Aporien, S. 31) Ob ein solcher Rechtszustand historisch gegeben war zu Kants Zeit, ist hier noch nicht die Frage, sondern ob Kants Zusammenhang von Moral- und Rechtsphilosophie auf Grund seiner Rechtstheorie überhaupt möglich ist und durch vernünftige Politik in geschichtsphilosophischer Perspektive sich überhaupt herstellen lässt. Denn Recht, das auf äußere Handlungen geht, lässt sich nicht ausschließlich apriorisch konstruieren, sondern muss immer gesellschaftliche und ökonomische Voraussetzungen aufnehmen, die es regeln will. Recht enthält allgemeine Grundsätze und allgemeine Rechtsbestimmungen. Das, was das Recht aber in der bürgerlichen Welt zu regeln hat, sind ungleiche Besitzverhältnisse. Das gleiche und allgemeine Recht für alle  setzt die soziale Ungleichheit der Rechtssubjekte voraus. Für das gleiche Recht gilt: „Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht.“ (Marx: Kritik des Gothaer Programms, S. 21) Es ist deshalb zu fragen, ob die Eigentumsdifferenzierung in der bürgerlichen Gesellschaft mit dem apriorischen Recht Kants vereinbar sein kann.

Zurück zum Anfang

Weiter zu:
Kants Rechtfertigung des Privatbesitzes an Boden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Datum

Volltextsuche in:
Erinnyen Aktuell

Weblog

Hauptseite (zserinnyen)

Erinnyen Nr. 16


What's new powered by crawl-it


Aktuelle Nachrichten
der Argentur ddp:
Buttom Newsticker 
Button Kultur
Buttom Wissenschaft
Politik Button

Wenn Sie beim Surfen Musikt hören wollen:

Logo Radio


Weitere Internetseiten und unsere Internetpräsenz im Detail:

Archiv Logo

 

Audios, Fotos und Videos:

Medienseite Logo

Die letzten Ausgaben der Erinnyen können Sie kostenlos einsehen oder herunterladen:

Abildung Titel Erinnyen Nr. 15

Erinnyen Nr. 16 Titelbild

Erinnyen Nr. 17 Titelbild

 

Erinnyen Nr. 18
Erinnyen Nr. 18

logoNr. 19

Erinnyen20Logo

Logo Erinnyen Nr. 21


Erinnyen Nr. 22
Erinnyen 22

 

Nachrichten aus dem beschädigten Leben:

Tagebuch Weblog

Unsere Zeitschrift für materialistische Ethik:
Zeitschrift für materialistische Ethik Erinnyen

Unsere Internetkurse zur Einführung in die Philosophie:
Schuledialektik

Unsere Selbstdarstellung in Englisch:
Englische Seite

Die Privatseite unseres Redakteurs und Vereinsvorsitzenden:
Redakteur B. Gassmann

Unser Internetbuchladen:

Erinnyen Nr. 9 Bild

Ethiktiel Abbildung

Logiktitel Bild

Metaophysik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© Copyright: Alle Rechte liegen bei den Erinnyen. Genaueres siehe Impressum.

Letzte Aktualisierung:  02.10.2014

                                                                       
bbbbaaa